WIM WENDERS über den Film "Soul of a Man – The Blues I" (2003)

Verfasst am 16. Dezember 2018 16:59

WIM WENDERS über seinen Film  "The Blues - Soul of a Man" (2003)

Filmgespräch am 03.05.04 im Abaton Kino.   

Foto: imdb

Mod: Wie ist es zu diesem Projekt gekommen? Wie war die gegenseitige Arbeit zwischen den einzelnen Filmemachern, wie war das Verhältnis?

Wenders: Martin Scorsesse hat mich im Sommer 1999 gefragt und ich habe sofort zugesagt. Ich wusste schnell, dass ich über meine drei Helden Skip James, J.B. Lenoir und Blind Willi Johnson etwas machen wollte.
Mein Film ist dann in den letzten 2-3 Jahren entstanden. Ich habe darin alle paar Wochen mal gedreht, nur Clint (Eastwood) hinkte mit seinem Projekt etwas hinterher. Der hatte andauernd mit seinen Spielfilmen zu tun, so dass er ganz spät über die Geschichte des Klaviers im Blues drehte. Clint hat dann natürlich auch in seinem Film mitgespielt. Das hätte ich auch gern, aber ich spiele ja nur Platten ab. Marty (Martin Scorcese) hat dann auch nur alles überwacht. Als dann alle fertig waren, haben wir uns die Filme dann gegenseitig gezeigt. Clint hat mit Ray Charles Klavier gespielt. Das hätte ich auch gern gemacht. Ich hätte sogar dafür gelernt, Klavier zu spielen. Ich kann nur etwas Saxophon spielen.

Zuschauer: Was haben die Musiker zu ihrem Film gesagt, die die Stücke nachgespielt haben? Haben ihn alle gesehen?

Wenders: Es haben ihn alle gesehen, außer Cassandra Wilson. Aber die kommt bald auf Tour nach Deutschland, da wollte ich sie auf jeden Fall fragen. Es hat ihnen gut gefallen, besonders auch den Kindern von J.B. Lenoir, dass er jetzt doch mit seiner Musik zu Ehren gekommen ist. Sie waren wirklich glücklich. Endlich gibt es ein Denkmal für J.B.

Mod: Die Filme werden hier in Deutschland über einen neuen Verleiher und Filmproduktion vertreten! Was bedeutet “Reverse Angle“?

Wenders: Als ich und Peter Schwartzkopff uns diesen Namen ausdachten, wussten wir, dass die Hälfte der Leute den Namen sowieso falsch aussprechen werden. Sie haben es ja schon halbwegs richtig gemacht. Nein, es heißt einfach “Gegenschuss“. Es ist somit etwas forsch und kommt aus der Filmsprache. Wir brauchten einen Namen und da kam uns diese Schnapsidee, wie auch mit “Roadmovie Film“.

Mod: Sie haben bisher einen Film in Hamburg gedreht, haben eine Professur an der HfBK in Hamburg, haben hier einen Filmverleih- gibt es auch bald wieder einen “Wendersfilm“ in Hamburg?

Wenders: Es gibt ja einen Film, der fast ausnahmslos in Hamburg spielt. Außer eine Sequenz in Paris. Das war 1976. Einiges gibt es ja heute nicht mehr davon, aber Hamburg ist durchaus fotogen!

Zuschauer: Die Musiker, die die Stücke nachgespielt haben, waren die extra dafür vor die Kamera gekommen oder waren das Konzert-Mitschnitte?

Wenders: Alle Stücke sind für diesen Film gemacht und gedreht worden, außer die “John Spencers Blues Explosion“. Die haben wir auf einem Konzert mitgenommen. Wir haben dann meist in Ton-Studios oder Clubs gedreht.

Zuschauer: Konnten die denn alle sofort damit etwas anfangen?

Wenders: Cassandra Wilson kannte zum Beispiel nicht den “Vietnam Blues“ von J.B. Lenoir und so schickte ich ihr erst einmal ein paar Platten zu. Auch die anderen sind ja zum Beispiel keine richtigen Blues-Interpreten: Lou Reed, Nick Cave.

Zuschauer: Und es gibt eine CD dazu, wo alles drauf ist?

Wenders: Ja, es hat gerade noch alles drauf gepasst! Alles, was gespielt wurde. Aber auf der DVD sind dann sogar noch Stücke, die wir zwar gedreht, aber nicht mehr verwendet hatten. Wir haben ja zunächst die Orte aufgesucht, wo diese legendären Musiker herkamen. Haben dort viel gedreht, in Mississippi oder Chicago. Wir haben Leute gefunden, die diese Menschen sogar noch kannten und haben sie interviewt. Doch das war nicht der Film, den ich machen wollte. Es gab ja so gut wie kein Material über diese Musiker. Es gab kein einziges Foto von Blind Willi Johnson. Nur eine schlechte Grafik, wo man auch nicht erkennen konnte, wie dieser Mensch nun wirklich aussah. Auch von Skip James war aus den 30er Jahren nichts aufzutreiben und selbst von J.B. Lenoir war, obwohl in den 50er Jahren einigermaßen bekannt, kaum filmisches Material vorhanden. Außer zwei Songs, die der Südwestfunk auf einem Festival mitgefilmt hatte. Tja, und da haben wir zum Glück dieses Pärchen gefunden!

Mod: Wie haben sie die gefunden?

Wenders: Wir haben überall gesucht. Auch bei den Bluesfans im Internnet. Und da kamen irgendwann Gerüchte auf, dass zwei Kunststudenten aus Schweden damals J.B. Lenoir zweimal aufgenommen hätten. Die sind heute übrigens immer noch Künstler, sie machen -und das kann ich nur auf Englisch sagen: “Nude Acrobatic Poetry“. Also, beide total nackt auf der Bühne. Er spielt Saxophone und sie liest Gedichte dazu. Das sieht man zum Glück nicht im Film. Die haben auch eine eigene Webseite. Tja. Und die beiden waren eben dann sehr befreundet mit J.B. und das Material lag total ungeschnitten in der Küche. Denn, als sie das erste Mal gedreht haben, machten sie ja den Fehler, auf ganz merkwürdigen Farb-Umkehr-Film mit Lichtton zu drehen. Denn diesen Lichtton konnte man dann überhaupt nicht mehr benutzen. Man konnte noch nicht einmal mehr hören, ob das Musik ist, was da drauf ist. Somit mussten wir andere Aufnahmen des Stückes anlegen, es angleichen. Jedenfalls wollte es ja das schwedische Fernsehen nicht! Auch wegen der Farbe, da es noch schwarz-weiß Fernsehen gab. Dann hat dieses Künstler-Pärchen ja wenig später noch einmal in den USA auf schwarz-weiß gedreht und als sie zurückkamen, war das schwedische Fernsehen farbig! Na ja. Ab da haben die zwei Künstler ihre Filmemacher-Karriere beendet. Aber das waren so liebe Menschen. Da hab ich mir gesagt, die muss ich mal besuchen!

Zuschauer: Die letzte Version von Blind Willi Johnson, war die echt? Weil es eine so gute Qualität war?

Wenders: Also, der Song war jedes Mal echt, wenn man diesen Darsteller gesehen hat. Den habe ich übrigens aus "O Brother , Where Art Thou?". Da ist er dieser satanische Gitarrenspieler, der die Jungs öfter mal begleitet hat. Und der Originalton ist nur digital überarbeitet worden. Deshalb die gute Qualität. Rauscht aber trotzdem wie Sau! Die Szenen haben wir alt gemacht, indem wir mit einer Kurbelkamera 16 Bilder pro Sekunde gedreht haben. Dabei war es jedoch schwer, auf diese Geschwindigkeit die Musik anzulegen. Das musste dann auch digital geschehen. Doch dieser alte Look ist, glaube ich, ganz gut gelungen. Denn viele Leute dachten, ich hätte gar nichts gedreht und hätte nur Archivmaterial benutzt...

Mod: Welcher Film dieser Serie ist ihr Lieblingsfilm? Haben sie eine Empfehlung oder Favoriten?

Wenders: Oh, ja, da gibt es zum Beispiel “Road to Memphis“- also Blues II, aber auch “Lighting in a bottle“ finde ich sehr gut.

Mod: Was wird ihr nächster Film sein, gibt es wieder ein Spielfilm?

Wenders: Ja, da hab ich was.

Mod: Und was ist das ?

Wenders: Der Film heißt “Land of Plenty- Land im Überfluss". Er wurde letztes Jahr in Los Angeles gedreht und soll jetzt im Herbst starten, denn ich komme gerade von dort aus der Mischung.

Mod: Können sie denn schon etwas mehr verraten?

Wenders: Nein!

Mod: Wer zum Beispiel mitspielt?

Wenders: Es sind zwei Hauptrollen. Die Hauptdarstellerin ist Michel Williams. Bisher ist sie noch sehr unbekannt. Und ein Ex-Vietnamsoldat kommt vor, gespielt von John Deel. Wie gesagt, im September/Oktober haben wir gedreht und im Herbst wird er rauskommen. Ich habe schon viel zu viel erzählt! Es ist ein politischer Film zur gegenwärtigen Lage in den USA!

Mod: Und wie sieht es aus mit dem Projekt, das sie mit Sam Sheppard machen wollten?

Wenders: Da fangen wir dieses Jahr erst an. Nachdem wir einige Budget-Einbrüche in Frankreich hinnehmen mussten. Aber dazu kann ich ja noch weniger erzählen, weil ich ja diesen Film noch gar nicht gedreht habe.

Zuschauerin: Ich wollte fragen, was Musik wirklich für sie bedeutet!

Wenders: Ich kann es vielleicht erklären mit einem Song von Lou Reed. “Rock n` Roll has safe my life“. Es war einfach meine Musik, die ich gefunden habe, als ich 14, 15 Jahre alt war. Und in Düsseldorf gelebt habe, in den 50ern. Da findet man den Blues aber nicht, da bekommt man ihn!

Zuschauer: Wie hat eigentlich Lou Reed auf dieses Projekt reagiert?

Wenders: Er war zunächst skeptisch. Wie gesagt, er war ja Rock n` Roller, aber er kannte Skip James. Ich habe ihm dann ein paar Songs vorgeschlagen z.B. “Look down the road“ und dann hat er aber sogar noch einen Klassiker draufgelegt, der von keinen der drei Musiker geschrieben worden ist. Aber der ist von Skip öfters damals gespielt worden. Es war wirklich sehr gut. Herzzerreißend waren sie plötzlich in dieser Extra-Session. So gut hatten sie noch nie zusammen gespielt. Sie waren so gefühlvoll, dass sie sich danach verweigerten, diesen Song noch einmal zu spielen. Für einen Filmemacher natürlich ziemlich dämlich. Und sie haben es dann noch ein paar Mal versucht. Doch es wurde nie wieder so gut. Lou konnte es auch nicht fassen, gerade dieses Solo. Und er sagte zu mir: “Zeig mir noch mal mein Solo“, weil die Band es nicht fassen konnten, was da in sie gefahren war.

Zuschauerin: Wie sollte man im heutigen, digitalen Zeitalter einen Film drehen?

Wenders: Weiß ich nicht! Wir haben mit einer ganz normalen DV von Sony gedreht und da kann man eine ganz andere Übereinkunft mit den Darstellern treffen. Man kann ganz nah gehen, ganz nah sein, an den Instrumenten zum Beispiel. Es stört niemanden. Mit einer Filmkamera könnte man nie so nah herangehen. Man hat eine ganz andere Beweglichkeit. Es gibt ganz neue Möglichkeiten auf diesem Sektor zu entdecken. Der Katalog der digitalen Sprache wird immer mehr vergrößert und erweitert, es ist ja alles damit heute möglich. Früher war das digitale Format etwas in Verruf geraten, weil die Werbung zunächst damit gearbeitet hat und die Effekt-Filme. Da hieß es dann, “Digital gleich Knall!“. Aber allgemein haben alle Filmemacher dieser Reihe auf DV gedreht. Nur Clint hat auf High Definition gedreht. Aber der hat nur 3 Tage gedreht, wo wir 2 Jahre brauchten. Und so war alles wieder im Budget.

Zuschauerin: Werden diese alten Aufnahmen eigentlich nun wieder neu aufgelegt?

Wenders: Nein, die Aufnahmen liegen in Archiven und die Amerikaner zelebrieren ja gerne einen Raubbau an ihrer eigenen Kulturgeschichte. Einige der Blues-Größen konnten erst mit dem Interesse hier in Europa wieder gefeiert werden. Drüben wurden sie ja bereits vergessen. Also, die sind ziemlich gnadenlos, was ihr geschichtliches und kulturelles Erbe angeht.

Zuschauer: Wie ist das Verhältnis zur Musik? Könnte es noch eine weitere Musikrichtung geben, die sie interessiert und könnte es darüber auch wieder einen Film geben?

Wenders: Ich muss vorsichtig sein. Das war ja nun schon mein dritter Film in dieser Richtung und nachher sagen sie, der macht ja nur noch so etwas! Nein, ich würde, schon gern etwas erzählen, zum Beispiel zu den Eskimos fahren und deren Musik zeigen, aber jetzt ist erst einmal eine Pause angesagt!

Foto: WimWenders Stiftung

 Der Film bei imdb: https://www.imdb.com/title/tt0368287/