MICHAEL VERHOEVEN über den Film "Mutters Courage" (1995)

Verfasst am 16. Dezember 2018 18:31

MICHAEL VERHOEVEN über den Film "Mutters Courage" (1995)

Die Filmdiskussion wurde geführt im Programmkino "TRAUMSTERN" in Lich (Frühjahr 1996)

Foto: imdb

Michael Verhoeven: Erst einmal muss ich bemerken, dass sie gleich im Vorspann sehr viele tschechische Namen lesen werden, obwohl alles in Ungarn spielt und auch zum größten Teil dort gedreht wurde. Doch nach einem Regierungsumbruch wurden dort auch die Behörden umfunktioniert, welche auch für die Filmförderung usw. verantwortlich waren. So standen wir nun vor der Wahl, entweder ein Jahr zu warten, dass sich dort wieder einiger Maßen Ordnung einstellt oder woanders weiter zu produzieren. Wir entschieden uns für letztere Möglichkeit. Es war nur schade, weil alles so schön vorbereitet war. Die Wartehalle, in der die Juden zusammen getrieben werden sollten, war in einem alten Lokomotivenwerk geplant. Doch der Bahnhof, der dann in Tschechien gefunden wurde, wog alles wieder auf. Er spiegelte genau dieses friedliche Leben wieder, in dem diese Tragödie auf versteckter Weise durchgezogen wurde (...)

FRAGEN an Michael Verhoeven vom Publikum.

Zuschauer: Hatten sie als Regisseur eigentlich auch Einfluss auf das Casting ? Denn ich halte Eddie Arrent als Geheimpolizist als absolut fehlbesetzt ! Ich habe eigentlich nichts gegen Eddie Arent, aber ich meine, dass er in diesem Film nichts zu suchen hatte!?

- Eddie Arent spielt einen der tollpatschigen Geheimpolizisten, die Frau Tabori verhaften wollen -

Verhoeven: Das finde ich jetzt nicht sehr schmeichelhaft für Herrn Arent. Für mich ist er ein sehr guter Schauspieler, der eben nur in eine bestimmten Filmkategorien gesteckt wurde und deshalb vielleicht in eine Klischee-Ecke gedrängt wurde. Aber das hat doch noch keine Aussage über seine Qualitäten. Ich finde, er ist sehr vielseitig und damit nicht fehlbesetzt.

Zuschauer: Warum haben sie auf Cinemascope gedreht ?

Verhoeven: Weil ich einen Kinofilm machen wollte und für mich ist Cinemascope gleich Kino!

Zuschauer: Wie konnten sie bei dieser Massenszene motivieren, wo die Juden im Bahnhof zusammengetrieben wurden und später auch zum Zug drängten, als dieser dort einfährt? Wie haben sie es denn geschafft, dass sich diese Menschen (die Komparsen) nun als Juden von damals fühlten und auch so handelten, dass sich diese Leute in diese Situation hineinversetzen konnten?

Verhoeven: Ja, das waren alles, zum größten Teil jedenfalls, normale Leute, Statisten, bis zu 2000, die aus der Nachbarschaft des Drehortes kamen. Und die Kunst, diese Menschen in die richtige Richtung zu motivieren bestand darin, so wenig Informationen wie möglich zu geben. Wir haben die Leute dort hingestellt und haben ihnen nur gesagt, dass sie jetzt in diesen Zug müssen und den Personen mit den Schleifen am Arm folgen sollten- das waren unsere Leute. Dann wurde der Zug eingefahren und alle drängten zu den Waggons. Es war dann auch ganz normal, dass nicht die alten und gebrechlichen Leute einen guten Platz bekamen, zum Beispiel an den Fenstern oder Luftschlitzen, sondern dort standen jene mit dem härteren Ellbogen, eben jene, die sich am besten durchsetzten und vordrängeln konnten. Ein paar Drängler vom Team waren noch mit in der Menge, sie schubsten dann noch etwas. Viele Szenen waren einfach eine Sache des Glückes, die Ankunft des Zuges konnte zum Beispiel nur einmal gedreht werden, ist ja klar. Aber auch andere Szenen waren eine Frage des Glückes. Es ist einfach unvermeidbar, dass die Arbeit nur mit Statisten auch kleinere Pannen hervorruft. Ein oder zweimal Grinsen dann schon mal in die Kamera oder machen etwas falsches. Das fällt beim "Drehen" selbst nicht gleich auf, erst später beim "Sichten" des Materials. Diese Aufnahmen sind dann wertlos und man muss eben die verwertbaren Sachen heraussuchen.

Zuschauer: Die Musik war für mich sehr bemerkenswert! Sie gab den Bildern noch mehr Kraft, ja sogar Schwere, besonders zum Ende hin!

Verhoeven: Das höre ich natürlich gern, da mein Sohn die Musik komponiert hat, er wird sich freuen über dieses Kompliment.

Zuschauer: Ihr Sohn hat doch auch mitgespielt! Das war doch dieser junge, blonde Nazi-Soldat?

Michael Verhoeven: Ja, genau!

Zuschauer: In wie weit war Tabori an dem Projekt beteiligt? Welchen Einfluss hatte er auf den Film?

Anmerkung der Red: Der bekannte Theater-Regisseur Georg Tabori hat die literarische Vorlage zu dem Film geliefert. Er hat die Geschichte seiner Mutter aufgeschrieben, die dies wirklich so erlebt haben soll - und stellt diese Geschichte auch persönlich im Film vor.

Verhoeven: Er hat uns auf jeden Fall sehr viel Spielraum gelassen, hat auch beim Drehbuch mitgewirkt. Bei den Dreharbeiten selbst, hielt er sich dann ganz raus. Er ist ja auch nicht der Filmmensch, kommt ja vom Theater und war sichtlich beeindruckt von solch einer verhältnismäßig großen Produktion. Aber die Zusammenarbeit hat gut geklappt.

Zuschauerin: Für mich waren auch ein paar versteckte Symbole sehr wichtig. Zum Beispiel hatte der SS-Offizier einen Totenkopf auf der Mütze, den man einmal groß sah. Und der Jude, der erschossen wurde  hatte einen Pyjama an, der bereits an die KZ-Kleidung erinnerte. Sind diese Andeutungen einfach Zeugnisse unseres heutigen Wissens? WIR wissen ja, dass die Juden ins KZ gekommen sind!

Verhoeven: Find ich erst einmal toll, dass ihnen diese Sachen aufgefallen sind. Sie sind die erste, die es bemerkte. Aber eigentlich sollte der Pyjama nur verdeutlichen, dass diese Menschen wirklich aus ihren alltäglichen Situationen herausgerissen worden waren- als sie verhaftet wurden.

Zuschauerin: Ja, das hat man auch an dem Metzger gesehen, der noch mit dem Fleischermesser und Kittel dort stand.

Verhoeven: Genau!

Zuschauer: Ich hatte das Problem bei ihrem Film, dass ihre Bilder vom Holocaust einfach zu glatt waren. Sie beschrieben hier einige Handlungen, die sehr brutal und menschenverachtend sind, aber sehr einfach und aalglatt erzählt werden.

Verhoeven: Also, das versteh ich jetzt nicht so, warum sie damit Probleme haben. Ich wollte einfach nicht alles aufzeigen, was der Holocaust an schrecklichen Bildern hervorgebracht hatte. Die technischen Möglichkeiten waren zwar gegeben, wie zum Beispiel auch in "Schindlers Liste", wo sie sich gegenseitig die Pistolen an den Kopf halten und so weiter. Da kommt das Gehirn schon aus der Pistole herausgeschossen... Also wenn man genug Geld hat, sind solche Bilder natürlich machbar, aber ich will jene Schreckensbilder nicht verwenden. Das hab ich nicht nötig.

Zuschauer: Ich fand den Charakter des SS-Offiziers sehr interessant. Er zeigt bei der Szene mit den Pflaumen **eine sehr gespaltene Persönlichkeit, die am Rande des Wahnsinns steht, was ja vielen SS-Anhängern nachgesagt wird, dass sie alle etwas geisteskrank waren.

** - Während der Fahrt zurück nach Budapest erzählt der SS-Offizier eine schreckliche Geschichte von einem Pfarrer, der seine wenigen Kirchenbesucher zum Morden aufruft. Diese Geschichte geht immer weiter in eine sich steigernde Erzählform, die sich am Ende fast im Wahnsinn wieder findet. Dabei zerdrückt er Pflaumen.

Verhoeven: Ich kenne diese historische Geschichte nicht so, dass alle SS-Offiziere geisteskrank gewesen sein sollen. Doch es ist sehr interessant, dass sie dies erwähnen. Auf der Premiere in Berlin bekam ich etwas ähnliches vorgeworfen. Ein junger Mann fragte mich, wie ich dazu kommen würde, die SS-Leute so positiv darzustellen. Schon die Szene, dass dieser Mensch (der SS-Offizier) ganz distanziert Musik hört, während hunderte von Juden deportiert werden. Doch ich finde, dass ich die SS-Männer überhaupt nicht positiv gezeichnet habe. Er hält sich nur sehr auf Abstand, lässt niemanden an sich rankommen. Aber der junge Mann beharrte auf seinem Standpunkt und wurde sogar noch sehr aggressiv. Danach fand ich heraus, bei einem weiteren Gespräch mit ihm, dass dieser Mann aus einer Soldatenfamilie stammt und selbst Offizier ist.

Zuschauer: Ich kann aber die Reaktion und Verhaltensweisen der Juden irgendwie noch nicht nachvollziehen, eben allgemein gesehen. Wie kann es sein, dass die Menschen einfach nicht wussten, wohin die Reise ging, dass es dort um Leben oder Tod ging und dass nur ein kleiner Junge dies in ihrem Film begriff und versuchte zu fliehen. Wenn Budapest wirklich die letzte Enklave war und das im April 1944 stattfand, dann kann ich nicht nachvollziehen, warum keiner etwas wusste!?

Verhoeven: Dazu möchte ich eine andere Geschichte aus dieser Zeit erzählen. Und zwar gelang ebenfalls 1944 zwei Männern die Flucht aus Auschwitz. Sie konnten sich bis zu den Alliierten durchschlagen. Dort erzählten sie dann, was dort in Auschwitz geschah und diese Nachricht ging über den ganzen westlichen Erdball. Doch schon Jahre zuvor war es ebenfalls zwei Männern gelungen zu fliehen und auch sie erzählten von den schrecklichen Ereignissen dort. Doch ihre Geschichte wurde totgeschwiegen. Es wurd eihnen einfach nicht geglaubt. Weil es einfach nicht vorstellbar war.

Zuschauer: Dazu möchte ich auch noch sagen, dass wir uns selbst jetzt einmal fragen sollten, wie viel WIR wissen und was WIR tun! Wissen wir etwa nicht von unseren Umweltproblemen und fahren wir nicht trotzdem Auto? Das Wissen ist doch da!

Verhoeven: Ja, wenn unsere Kinder in 40 Jahren ebenfalls nicht nachvollziehen können, dass wir nichts wussten, dürfen wir uns nicht wundern.

Zuschauer: Ich wollte nun noch einmal auf den Charakter von Frau Tabori eingehen! Für mich ist es gar nicht so eine starke Frau, wie vielleicht angenommen wird. Im Zug holt sie sich als Stütze immer wieder die Bilder aus der Vergangenheit. Es sind schöne Bilder, aber auch Erinnerungen, die nicht so gut waren, die mit dem Thema "Verbot" zu tun haben. Und deshalb glaube ich auch zu wissen, warum sich diese Frau nicht gemeldet hat, als es darum ging, zu sagen, dass sie nur irrtümlich hier wäre. Sie hatte noch die ganze Zeit den Satz des Vaters im Ohr:“ Du musst lernen, zu gehorchen!“

Elsa erinnert sich während der Zugfahrt an einen Tag in ihrer Kindheit, in dem sie in das Praxiszimmer ihres Vaters stürzt und ihn dabei erwischt, wie er mit einer Frau sexuellen Kontakt hat -

Zuschauer: Hat George Tabori eigentlich erzählt, wie seine Mutter sich danach verhalten hat, nach diesem Tag? Wie war sie danach? Ich hatte noch manchmal das Gefühl, dass sich diese Geschichte zwar auf einer wahren Begebenheit aufgebaut hat, doch es konnte auch so sein, dass sie auch nur alles erfunden hat. Sie war ja am Abend wieder da.

Verhoeven: Nun, als erstes hat Tabori sie ja erst nach Kriegsende wieder gesehen, da er ja bei BBC in London gearbeitet hat. Doch er erzählte, dass sie danach ganz anders war -wie Stein- als ob sie manchmal versteinert war. Und ich glaube schon, dass die Geschichte auch stattgefunden hat. Warum sollte sie lügen?

Zuschauer: Das kann ich aber nicht verstehen- "sie war wie aus Stein". Denn im Film hatte sie sich ja gleich nach ihrer Ankunft in Budapest ans Romme-Spiel gesetzt. Also hat sie sich doch gleich sehr erfolgreich in ihren normalen Alltag geflüchtet, oder?

anderer Zuschauer: Ja, aber dass sie sich verändert hat, sieht man doch an der Geschichte des SS- Offiziers. Vor diesem Tag hätte sie vielleicht gesagt, dass die Geschichte des ermordeten Schneiders schrecklich ist.

Wieder die Geschichte mit dem SS-Offiziers, der während der Rückfahrt von dem Pfarrer erzählt, der seine Kirchenbesucher dazu aufhetzt, einen jüdischen Schneider zu ermorden und in der Kirche verscharren -

Verhoeven antwortet nicht mehr, da die Frage bereits beantwortet wurde.

Zuschauer: Karl Zuckmayer hat ja mal einen ähnlichen Humor gegenüber solch ernster Thematik entwickelt und seine Kritiker gingen nicht sehr freundlich mit ihm um. Hatten sie auch solche Probleme mit der Kritik?

Verhoeven: Nein, also über die Kritik kann ich mich nicht beklagen, ich kann eigentlich ganz zufrieden sein. Klar manche negative Kritik, wenn sie denn fachlich und kompetent ist, muss man immer mal einstecken. Nun will ich aber mal zu einer anderen Frage kommen, da diese sowieso gleich gestellt wird. Deshalb beantworte ich sie auch gleich. Und zwar fragen sie sich bestimmt schon eine ganze Weile, warum dieser Slapstick dort eingebracht wurde. Warum die altersschwachen Geheimpolizisten so tollpatschig sind und andere Szenen. Es ist eigentlich ganz einfach: Zum einen benutzt auch Tabori Humor und Komik in seiner Erzählung über seine Mutter und außerdem soll es diese Haltung der unbekümmerten Täter zeigen. Slapstick ist meist noch mit einer Katastrophe verbunden.

Zuschauer: Wozu war dieser Anfang gedacht, wo Tabori einen Auftritt hat, in einer Film-im-Film Sequenz?

Verhoeven: Ich wollte mich damit distanzieren von der Wirklichkeit. Mit dem Dreh-Set, mit der Kamera im Hintergrund wollte ich klar machen, dass es sich hierbei um einen Film handelt. Der wirkliche Holocaust kann einfach nicht erzählt und gezeigt werden.

Zuschauerin: Ich fand "Mutters Courage" sehr gut, doch ich bin noch ein größerer Fan von "Die weiße Rose". Er war viel stärker für mich, viel intensiver. Glauben sie, noch einmal solch einen tollen Film drehen zu können?

Verhoeven: "Die weiße Rose" war irgendwie eine ganz andere Zeit, ich glaube nicht, dass man heute noch einmal so etwas drehen kann.

Foto: imdb

Der Film auf imdb: https://www.imdb.com/title/tt0117117/?ref_=ttmi_tt