FATIH AKIN über den Film "Wir haben vergessen zurückzukehren" (2001)

Verfasst am 16. Dezember 2018 17:42

FAHTI AKIN über den Film "Denk ich an Deutschland: Wir haben vergessen zurückzukehren" (2001)

FILMDISKUSSION in den Hamburger ZEISE KINOS ( 29.12.2000)

Foto: filmstarts

Veranstalterin: Ich freue mich, sie herzlich hier begrüßen zu dürfen und dass sie noch die Geduld hatten, zu warten, denn wir hatten ja noch dieses technische Problem. Und zwar ein Ton-Problem, was leider nicht behoben werden konnte. Ein Kabel ist nämlich kaputt, obwohl es neu gekauft war. Denn Fatihs Film liegt als Betacam-Kassette vor, also nicht auf Film und so mussten wir neue Ton-Verbindungen herstellen. Und da gibt es leider nun ein kaputtes Kabel. Die Tonqualität ist jetzt also nicht so gut, wie sie sein sollte, ich hoffe sie sind auch nicht zu verärgert durch die Wartezeit, die dadurch entstanden ist.

Sie übergibt Fatih Akin das Wort, der daneben steht.

Akin: Soll ich jetzt noch was dazu sagen? Ja, wie gesagt, der Ton wird jetzt nur von einer Spur kommen, aber ich hoffe das ist nicht so schlimm. Ja, zu dem Film: Es war diesmal eine Auftragsproduktion- und zwar in einer Reihe des Bayrischen Rundfunks. Die Fragen immer mal Kino-Filmemacher, ob sie nicht Lust hätten, einen Dokumentarfilm zu machen, mit dem Thema "Deutschland" natürlich, irgendwo. Ja. Und dann hatte ich überlegt und wollte schließlich einen Film über meine Familie machen und das fand ich ziemlich geil. Es ist mein erster Dokumentarfilm, also ist was ganz Neues, als das was ich bisher gemacht habe. Es wird also diesmal niemand erschossen!!! Es sind diesmal nur 60 Minuten! Und es hat auch soviel Spaß gemacht. Es war so interessant, gerade schon das Medium, dass es bestimmt nicht mein letzter sein wird. Viel Spaß dabei.

Nach dem Film:

Akin: Ja, wie gesagt, ich weiß gar nicht ob ich es schon erwähnt hatte - aber das war diesmal eine Auftragsproduktion und es haben schon viele andere Regisseure für diese Reihe gearbeitet. Angefangen hat es, glaube ich, mit Doris Dörrie, sie hat damals einen Film über den Tod ihres Mannes gemacht. Dann folgten noch viele, wie z.B. Sebastian Schipper von “Absolute Giganten“ usw.

Zuschauer: Ich weiß nicht ob jetzt schon die Fragen angefangen haben, aber ich habe zwei Fragen. Zum Ersten fällt mir immer wieder auf, dass jeder Ausländer sagt, dass er irgendwie Kölner, Hamburger oder sonstiges ist. Also die sagen nicht, ich bin Deutscher sondern schieben ihre Stadt, in der sie leben, immer vor. Woher kommt das deiner Meinung nach? Und zweitens würde mich es interessieren, ob diese Geschichte deiner Verwandtschaft stellvertretend sein könnte für viele Geschichten von Migranten?

Akin: Also zur ersten Frage: Das ist ganz normal. Das ist weit verbreitet und selbst in den Städten wird noch mal gesagt “Hey, ich bin Altonaer oder ich bin Kreuzberger. Dieser lokale Patriotismus ist ein Muss, denn als was sollen sie sich sonst bezeichnen? Als Deutsche? Also, ich hab da auch so meine Probleme? Diese Frage wurde mir schon zehnmillionen Mal in den Interviews gestellt. Gut. Wen vertrete ich, wenn ich mit meinem Film auf einem internationalen Festivals bin? Klar, ich bin für Deutschland dort! Aber es gibt auch viele Sachen, wie Holocaust oder Bundesliga, Sachen von Deutschland, mit denen ich mich überhaupt nicht identifiziere. Dieser Städte-Patriotismus gibt es zum Beispiel auch viel in der Hip Hop Szene. Meinen nächsten Film, wieder ein Dokumentarfilm, mache ich über Hip Hop und da fällt es mir besonders auf. 

Zuschauer: Ja. Das ist genau so wie du es sagst. Ich fühle mich auch nicht als Deutscher, obwohl ich es ja bin. Und viele sagen inzwischen zu mir: “Hey, du bist doch kein Ausländer?“ Bin ich aber! Ich hab noch nicht mal n` deutschen Pass !

Akin: Ich hab dagegen sogar einen deutschen Pass, hab damit aber wirklich ein paar Schwierigkeiten. In einem sehr frühen Stadium, als meine Cousine mich im Interview fragte, zu was ich mich zähle, habe ich mich tatsächlich als Deutscher geoutet. Doch dann habe ich meinen Vater diese Arbeitskopie gezeigt und er fragte mich, was das sollte? Dann hab ich die Aussage wieder raus genommen. Ich will ihn ja nicht unglücklich machen! Und zur zweiten Frage: Es stimmt wirklich. Es fühlten sich viele angesprochen. Bei der ersten Aufführung waren viele Ausländer dabei und sagten mir, dass sie sich darin gesehen haben !

Zuschauer: Mich würde interessieren, wie viele Szenen abgesprochen waren und wie viele durch Zufall entstanden sind.

Akin: Es sind wirklich keine Szenen abgesprochen gewesen. Wir sind einfach drauf los und das war ja auch das Schöne. “Im Juli“ war so ein großer Film. Und hier sind wir wirklich nur mit drei Leuten losgegangen. Einer für den Ton, einer für die Kamera und ich. Das war wirklich mal sehr schön und wir hatten ja gleich nach den Dreharbeiten von “Im Juli“ angefangen. Also, es war nichts vorbereitet. Ich hatte ja auch noch nie einen Dokumentarfilm gedreht. Ich hatte keine Ahnung. Gut, ich wusste ungefähr, welche Fragen ich stellen werde. Und ein paar Szenen mussten wir Nachdrehen, da die Redaktion in Bayern gesagt hat, dass noch etwas fehlen würde. Am Anfang war ja ein sehr großes Gewicht auf meine Eltern gelegt, so als thematischen Schwerpunkt und dann wollte ich immer weiter zurückgehen, irgendwie “back to the roots“. Doch das war etwas zu langweilig, wir haben nur die Eltern in der Wohnung gesehen. So haben wir die Szenen mit Cem und die Autofahrt noch dazu gedreht.

Zuschauer: Warum hast du auf die Redakteure gehört?

Akin: Weil sie recht hatten? Redakteure reden nicht immer nur Müll. Manchmal haben sie auch recht !

Zuschauer: Wie viel hast du raus geschnitten? Wie viel Material hattest du zur Verfügung?

Akin: Am Ende hatte ich glaube ich 50 Stunden Rohmaterial und daraus mussten wir eine Stunde machen. Da war bestimmt noch viel interessantes Material dabei.

Zuschauerin: Für mich müssen Dokumentarfilme immer etwas traurig sein. Warum ist das in deinem Film nicht so? Da sind Szenen, die sind äußerst witzig, wie z.B. als dein Onkel türkisch redet und nur das Wort “Ausländer“ sofort deutsch gesprochen wird. Das gibt sofort einen Lacher, aber dahinter ist doch etwas Ernstes versteckt!?

Akin: Das ist bestimmt richtig. Aber es ist, glaube ich, ein Unterschied, ob man den Film jetzt im Kollektiv im Kino sieht oder allein zuhause vor dem Fernseher. Da kommen bestimmt weniger Lacher. Aber mal abgesehen davon will ich dies auch in meinen Filmen. Es muss beides vertreten sein. Tragikomödien, das ist für mich genau die richtige Mitte. Und die Szene mit meinem Vater, als er sich vor der Antwort drückt, warum er damals traurig war, als meine Mutter wieder Arbeiten ging: Dann hat das tatsächlich eine Situationskomik mit total ernstem Hintergrund. Oder wenn der Arbeitgeber meines Vaters erzählt: “Das ist der beste Türke, den die Türkei überhaupt hat. Der arbeitet Tag und Nacht!“. Jeder von uns erkennt es. Dann ist das so. Er ist eben Rassist.

Zwischenruf: Ich finde auch, dass Dokumentarfilme nicht unbedingt traurig sein müssen.

Zuschauer: Aber es ist doch ganz klar gewesen, dass da ein großer Konflikt zwischen den beiden war. Die Eltern haben sich immer gestritten und es war damals bestimmt eine große Tragödie!

Zuschauerin: Ich sprach nicht von Tragödie, sondern von Traurigkeit.

Andere Zuschauerin: Fatih. Würdest du sagen, dass deine Mutter sehr modern ist, gegenüber anderen Frauen in der Türkei?

Akin: Nein, würde ich nicht sagen. Meine Eltern sind da irgendwo in der Mitte, eine Arbeiterfamilie. Ich hab mich letztes mit Emir Kusturica unterhalten und wir haben beide Eltern, die Arbeiter oder Lehrer sind. Das ist wohl die beste Bedingung um gute Filmemacher großzuziehen.

Zuschauer: Ich komme aus Schleswig-Holstein und da hat Dummheit immer noch eine Farbe, nämlich braun. Ich kann nur sagen: Ausländer bleibt bitte hier, lasst uns mit diesen Deutschen nicht allein!

Anderer Zuschauer: Dass ihr nicht zurück in die Türkei gegangen seid, lag das nicht auch ein bisschen an Euch Kindern?

Akin: Ja, natürlich, aber zum größten Teil an den Eltern. Sie hatten sich gesagt: Bevor Cem eingeschult wird gehen wir zurück in die Türkei. Dann wurde gesagt: Bevor Fatih eingeschult wird gehen wir zurück.  Dann: Bevor Cem sein Abitur macht. Und als letztes: Bevor Fatih sein Abi macht gehen wir zurück. Doch das wurde schon gar nicht mehr gesagt. Aber das waren so die Abstände, wo das immer mal zum Thema wurde. Doch mein Vater sah ja, wie mein Onkel dort immer wieder Pleite ging. Das schreckte ihn natürlich ab. Mein Onkel hat hier in Deutschland super verdient, bei Autohaus Opel. Er war dort Vorarbeiter, hat mehr verdient als mein Vater, hatte alle halbe Jahre ein neuen Wagen, n` Opel! Es ist ja auch so, dass wir Türken aus Deutschland ziemlich unbeliebt in der Heimat sind. Wir waren eine Arbeiterfamilie, wie so viele, die hier rüber gegangen sind. Gehobene Leute aus Istanbul sind vielleicht nur zum studieren hierher gekommen. Jedenfalls kommen die jetzt jeden Sommer in die Türkei zurück und haben Geld. Ist ja klar, dass es da Neid gibt.

Zuschauer: Gab es nicht auch Opfer bei deiner Verwandtschaft. Ich hatte den Eindruck, dass dein Cousin nicht gerne zurückgegangen ist!?

Akin. Der war angeschissen, der hatte verloren!

Zuschauerin: Hab ich das richtig verstanden? Deine Verwandten bekommen noch nicht einmal ein Visum, wenn sie noch mal nach Deutschland kommen wollten?

Akin: Ja, das war so ein Ding, da hätte ich besser recherchieren müssen! Das hab ich irgendwie etwas verpasst. Das ist nämlich ein Unding!

Zuschauerin: Obwohl sie 15 Jahre hier gearbeitet haben!

Akin: Ja, leider. Schade. Hätte ich mit rein nehmen müssen. Aber vielleicht beim nächsten Mal!

Foto: filmstarts